Tanz der Charaktermasken

Es darf angenommen werden, dass Joachim Gauck als zukünftiger deutscher Bundespräsident integrer sein wird als sein glückloser Vorgänger. Gauck hat eine Biografie, mit der man sich als politischer Mensch gerne auseinandersetzt. In  seiner Rolle als ehemaliger evangelisch-lutherischer Pastor, DDR-Bürgerrechtler zur Wendezeit und Beauftragter für die Stasi-Unterlagen von 1990 bis 2000 blickt er auf eine persönliche Wirkungsgeschichte zurück, auf die er stolz sein darf, was er in Interviews und Talkrunden auch gerne zeigt und dabei zuweilen etwas zu selbstsicher wirkt. Er wird zur Rehabilitierung des Amtes des Bundespräsidenten zweifelsohne einen Beitrag leisten. Bundeskanzlerin Merkel hätte sich in der jetzigen Situation für das Land keinen Besseren wünschen können – von den durch den Kürkrimi um den künftigen Bundespräsidenten verursachten koalitionsinternen Verstimmungen und gewissen umstrittenen Aussagen Gaucks einmal abgesehen.

Bemerkenswert ist, wie die Rezeption der Person Gaucks in der Bevölkerung stark an diejenige Obamas vor seinem Amtsantritt erinnert. Obgleich sich das Amt des deutschen Bundespräsidenten und dasjenige des amerikanischen Präsidenten im Hinblick auf ihre politische Machtausstattung klarer nicht unterscheiden könnten, sind die Erwartungen, die an die Person im Amt gestellt werden, in beiden Fällen erstaunlich ähnlich. So wie mancher US-Bürger in Obama fast messianische Hoffnungen für ein besseres Amerika setzte, verspricht sich mancher Bundesbürger angesichts von Finanz- und Euro-Krise vom neuen Bundespräsidenten das, was er als Person ex officio gar nicht zu leisten vermag.

Mit anderen Worten: Viele Menschen begreifen politische und geschichtliche Ereignisse primär als die Geschichte von Personen und erwarten sich von diesen Charaktermasken, wie Rudi Dutschke in Anlehnung an den alten Marx zu sagen pflegte, Dinge, die sie nicht leisten können, da sie Personifikationen der ökonomischen Verhältnisse sind. Zweifelsohne kann in bestimmten historischen Situationen die symbolische Wirkungskraft einzelner politischer Akteure enorm sein (man denke an den Kniefall von Warschau von Willy Brandt, der damals die Entspannungspolitik massgeblich voran brachte, oder auch die Kennedy-Rede in Berlin anlässlich des 15. Jahrestages der Berliner Luftbrücke als unmissverständliche Botschaft an die Sowjetunion, dass Westberlin ein Teil des freien Westens sei), doch in der Regel ist die politische Gestaltungsfreiheit von Personen durch das System, sofern es einigermassen stabil ist, klar begrenzt.

So wird denn alles beim Alten bleiben, mit dem Unterschied vielleicht, dass Joachim Gauck zumindest aufgrund seines Intellekts und seines Habitus einen etwas würdigeren Bundespräsidenten abgeben wird, als dies von Christian Wulff behauptet werden konnte.

(Bild: Alex Iby / Unsplash)